Johanna und Maria Leseprobe

Leseprobe 3

III: Buch: Die ganze Welt und Maria sind im Krieg. 6.Kapitel: Denunziationen, Don und Diphterie

S.151-S.153

Während Maria Sander erneut ihre Stellung bei Stalino verlassen sollte, wurde Bernard Bach am helllichten Tag bei einer Routinekontrolle von der französischen Polizei auf offener Straße verhaftet und mit anderen Leidensgenossen in das Sammel- und Durchgangslager Drancy, nordöstlich von Paris gebracht. Als ihr Mann nicht wie gewohnt nach der Arbeit nach Hause gekommen war, versuchte Fanny gemeinsam mit ihrem Cousin Heinz, herauszufinden was ihm zugestoßen war. Heinz Eisner durfte zwar noch in der Hutfabrik arbeiten, diese aber seit Anfang 42, nicht mehr sein Eigen nennen. Da Heinz politisch unauffällig geblieben war und für das Funktionieren seiner Fabrik gebraucht wurde, war er bisher noch nicht in das Radar der französischen Henkersknechte geraten.
Dennoch musste er äußerst diskret und devot vorgehen, um Fanny vom Verbleib ihres Mannes berichten zu können. Nach zwei Tagen bestätigte sich Fannys schlimmste Befürchtung. „Er wurde mit hundert anderen Juden nach Drancy gebracht.“ Heinz zog sich seine Schirmmütze vom Kopf und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Fanny wurde schwarz vor Augen. Zitternd stützte sie sich auf die Stuhllehne. Ihre Kinder waren noch in der Schule und merkwürdigerweise fragte sie sich als Erstes was sie ihnen erzählen sollte? „Was sollen wir jetzt nur machen?“ Jammernd wandte sie sich an ihren Cousin. „Wir müssen weg. Alle.“ Konstatierte Heinz. „Ich werde dafür sorgen, dass wir noch in den nächsten Wochen nach Amerika ausreisen können. „Das geht nicht“, rief Fanny aus. „Ich kann Bernard doch nicht einfach so seinem Schicksal überlassen. Es muss eine Möglichkeit geben ihn da raus zu holen. Es muss! Hörst Du?“ Heinz schaute sie sekundenlang schweigend an, ehe er fast tonlos antwortete: „Hast Du schon von irgendeinem gehört, der von Drancy zurückgekommen ist?“
„Um Gottes Willen Heinz, was redest Du da. Wenn wir ihn jetzt schon aufgeben, dann ist alles verloren.“ Nachdenklich blickte ihr Cousin sie an. „Na gut. Noch ein paar Tage. Nur so lange bis ich die Papiere zusammen habe, um nach Amerika zu kommen. Wenn wir bis dahin nichts erreicht haben, kommst Du mit mir und meiner Familie mit. Auf jeden Fall werde ich die Papiere für uns alle beantragen. Hast Du das verstanden, Fanny?“ Sein bestimmender Ton ließ ihr nur die Möglichkeit stumm mit dem Kopf zu nicken. Sie wollte alle Hebel in Bewegung setzen, ihren Mann aus Drancy rauszuholen. Wie, das wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie ohne ihn nicht fortgehen wollte. Fannys fieberhafte Überlegungen sollten sich drei Tage später auf tragische Weise von selbst erledigen. Madame Lebrun, die Concierge vom Haus, war der Familie Bach gegenüber von Anfang an misstrauisch gewesen. Seit deren Einzug in der Rue L‘Orient, hegte sie den Verdacht, dass es sich bei der Familie um Juden handelte.
Mit Bernards Verhaftung, die Madame Lebrun nicht verborgen geblieben war, nutzte sie die Gelegenheit der französischen Polizei einen Tipp zu geben. Die Motive für Madame Lebruns Verrat waren so niedriger und beschämender Natur, dass sie unglaublich erscheinen: Madame Lebrun wollte Fannys Nähmaschine. Schon seit geraumer Zeit hatte die missgünstige Concierge ein neidisches Auge auf die Pfaff 130 geworfen, mit der Fanny ihre Auftragsarbeiten nähte. Das unbändige Verlangen diese Maschine zu besitzen und die Tatsache, dass Fannys Haushalt seines männlichen Beschützers beraubt war, ließ die Concierge sämtliche moralische Überlegungen, wenn sie überhaupt welche hatte, über Bord werfen. Ohne jegliches Mitgefühl stolzierte sie in die nächstgelegene Kommandantur und denunzierte Fanny Bach. Ihr Verrat wurde tatsächlich dadurch belohnt, dass sie zum Dank das Objekt ihrer Begierde erhielt. Fanny wurde am gleichen Tag festgenommen und anderntags mit einem Sammeltransport direkt nach Auschwitz deportiert. Ihre Kinder entgingen der Deportation nur dadurch, weil sie in einer katholischen Schule untergebracht waren die intensive Kontakte zu einem Kloster in Annecy unterhielt, das täglich verfolgte Juden aufnahm und versteckte.
Die achtzehnjährige Cilly und ihre vierzehnjährige Schwester Rosalie wurden zunächst von einem katholischen Geistlichen in Paris versteckt, ehe dieser sie in der Nacht zu den beherzten Nonnen in die Haute-Savoie brachte. Heinz Eisner hatte sich dem neunjährigen Buben angenommen und flüchtete mit Jacques und seiner eigenen Familie nach Marseille, da er dort in Kürze die Papiere für die Überfahrt nach Amerika erhalten sollte.

1. Juli 42, Südgruppe zur Offensive angetreten. Große Erfolge. Es ging voran aber wir lagen immer noch in Makejewka. Ab 5. Juli ging es dann weiter nach Rostow und am 12. Juli hatten wir eine schöne Fahrt ans Asowsche Meer. Dazwischen eine Panne gehabt und auf einem russischen Bauernhof Kirschen geklaut. Haben fein geschmeckt. Am 27. Juli waren wir alle zum Schwimmen.
Das war eine Gaudi und in unserer Freizeit hatten wir öfters Gesangsstunden mit unseren Pfarrers. Das sind pfundige Kerle und wir lernten Lieder und Kanons, wie man es haben will. Neben diesen angenehmen Vergnügungen war Maria, zu ihrem Leidwesen für die Essensversorgung der Schwestern eingeteilt worden und deshalb nur zu froh, nach Erledigung der unliebsamen Verpflichtung mit Kuni abends zu den Klängen des Grammophons singen und tanzen zu können. Obwohl dieser Aufenthalt zum größten Teil von schönen Erlebnissen geprägt war, war es für Maria eine träge Zeit. Sie vermisste ihre helfende Arbeit an Patienten und war froh, als endlich wieder der Befehl zum Abtransport kam. So fuhren Mitte August acht Wagen mit je drei Schwestern und einem Fahrer über Taganrog in Richtung Rostow. 

Nach den verlustreichen Winterkämpfen der deutschen Wehrmacht, wollte Hitler den Russlandfeldzug spätestens im Sommer 1942 beenden und das OHK konzentrierte sich, entgegen der russischen Erwartungen, auf eine einzelne Stoßrichtung: Der deutsche Angriff sollte sich vornehmlich auf das wirtschaftlich interessante Donezbecken im Süden und den Kaukasusraum begrenzen. Die Heeresleitung rechnete mit der Einnahme dieser Gebiete eine maßgebliche Schwächung der Roten Armee zu erreichen und demzufolge später mit der Heeresgruppe Süd auf Moskau vorstoßen zu können. Nachdem Rostow, zur Überraschung der Russen, am 24. Juli 1942 zum zweiten Mal vom deutschen Heer besetzt worden war, mussten sich alle ortsansässigen Juden in einem Schulgebäude versammeln, um anschließend zur Schlangenschlucht getrieben und dort erschossen zu werden.
Als die Krankenschwestern am 12. August in Rostow ankamen, hatten die Pfarrer für sie bereits Zimmer eingerichtet. Von der Gräueltat an den Juden in der Schlangenschlucht erfuhren die Schwestern kein Wort. Licht und Wasser gab es nicht. Doch das war Maria egal. Hauptsache sie war gesund und mit ihrer Kuni zusammen. Zudem war es Sommer und sie konnten so oft sie wollten im Don baden. Die lauen Abende verbrachten sie bei den fast täglichen Standkonzerten der deutschen Luftwaffe die laut und beherrschend zackige deutsche Marschmusik spielte. Tagsüber versorgten Kuni und sie die Patienten in der Krankensammelstelle, zu der sie regelmäßig mit dem Wagen abgeholt wurden. Als am 24. August spaßeshalber eine der Schwestern den Sankawagen lenken wollte, endete das Unternehmen mit einem Zusammenstoß mit einem Telefonmast.
Außer einer kleinen Armverletzung, die Maria sich dabei zugezogen hatte, kamen alle glimpflich davon. Die Schimpftirade die die Kunstfahrerin anschließend über sich ergehen lassen musste, kommentierte diese nur mit: „Warum regt Ihr Euch denn auf? Das Bäumchen war noch jung, es bog sich ja.“ Beschämt erreichten die vier Schwestern die Sammelstelle mit einem verbeulten Schutzblech und einem kaputten Reifen. Ende August wurde Maria von der Sammelstelle zum Krankenlazarett 3/637 abkommandiert, um eine interne Station einzurichten. Endlich wieder richtige Arbeit, dachte sie in Anbetracht der Zahl an Verwundeten, die es hier zu versorgen galt.
Bereits nach zwei Tagen waren sämtliche Betten belegt und Maria hatte alle Hände voll zu tun. Anfang September fühlte Maria sich nicht wohl. Zunächst war es nur ein Kratzen im Hals, das von starken Kopfschmerzen begleitet wurde. Zwei weitere Tage schleppte sie sich auf die Station, bis es ihr bei der Essensausgabe speiübel wurde. Sie hoffte, dass es ihr durch einen ausgedehnten Nachmittagsschlaf wieder besser gehen würde, doch sie wurde eines Besseren belehrt. Sie konnte weder aufstehen, noch sprechen. Kuni informierte die Station und zog den Oberarzt hinzu, der bei Maria Diphterie diagnostizierte.

Na das Elend auch noch! Jetzt musste ich in ein anderes Zimmer übersiedeln und meine Kuni alleine lassen. Gleich habe ich eine Spritze mit 12000 Einheiten Di-Serum bekommen. Die nächsten drei Tage ging es mir nicht besser. Immer hohe Temperatur und so elend war es mir. Ich glaube zum Sterben gerade recht. Am 6. September hat sich der Belag etwas abgehoben, es ging mir etwas besser, aber eben nicht so wie es sein soll. Nur nie im Leben selbst krank werden!
Dann wird man ein ganz ungeduldiger Patient. Meine Kuni stahl sich des Öfteren in mein Zimmer. Die Arme tat mir ja so leid. Am gleichen Tag kam ein Landsmann aus Völklingen und hat mich besucht. Aber leider nur hinter Glas miteinander gesprochen. Es war Rummler Edi. Ja, so weit draußen und doch einen Bekannten zu treffen! Die Nachricht, dass unsere Schwestern abrücken drang nur leise an meine Ohren und ich muss hierbleiben! Am liebsten würde ich hinterher laufen.
Das nächste Ziel soll Kaukassus sein. Wenn ich nur wüsste was ich tun soll, um mitzufahren. Doch das geht nicht. Ich bin immer noch positiv. Am 18. September morgens um 4.00 Uhr kamen die Omnibusse und holten die Schwestern mit allem Gepäck ab. Kuni ist noch bei mir. Das arme Kind weint so und ich auch. Ich darf nicht mit. Ich bin ja erst acht Tage krank und es könnte ein Kollaps werden. So muss ich zusehen wie sie alle abfahren und es tut mir in der tiefsten Seele weh.

Während Maria in ihrer Krankenisolation bleiben musste, richtete General Wolfram von Richthofen in Taganrog das Hauptquartier des VIII. Fliegerkorps der Luftwaffe ein, das für den Nachschub der deutschen Truppen in Stalingrad sorgen sollte.